Form & Fetisch

Design zwischen Funktion und Imagination


16. Forum für Entwerfen im Internationalen Design Zentrum Berlin

vom 11. bis 12. April 2008

Mit Beiträgen von
Viola Altrichter, Kultursoziologin
Renate Flagmeier, Kuratorin Werkbundarchiv
Luc(as) de Groot, Schriftentwerfer
Ralph Habich, CI- und Markenberater
Fons Hickmann, Designer
Frank Schmitz, Architekturhistoriker
Christoph Türcke, Philosoph

Konzept, Einführung und Moderation
Florian Adler

Design zwischen Funktion und Imagination

Am Himmel unserer aufgeklärten Waren- und Wissensgesellschaft leuchten globale Marken, Symbole und Embleme und werben um unsere Aufmerksamkeit und Bindung.
Zeichen und Objekte sind über ihre funk­­tio­nalen Eigenschaften hinaus auf­geladen mit Botschaften und Versprechen hinsichtlich Status, ästhetischer, ideeller und – ja: magischer Qualitäten. Diese möchte sich der Kon­su­ment zu Eigen und der Produzent zu Nutzen machen.
Welche kulturgeschichtliche Disposition prägt unser offensichtliches Bedürfnis nach »Beseelung der Dinge«? Was bedeutet das für den Gestalter? Welche Mechanismen bedienen wir und welchen unterliegen wir selbst?

Flag Code: Wenn eine amerikanische Flagge alt geworden ist, wird sie nicht weg­geworfen. Sie wird bestattet. Am offi­­ziellen Flag Day, das ist der 14. Juni, werden die ausrangierten Fahnen in allen Ehren beigesetzt. Das verlangt der United States Flag Code.

Drachentöter: Wenn die britische Königin eine ihrer Staatslimousinen aus dem könig­lichen Fuhrpark benutzt, demontiert der königliche Fuhrparkmeister die originale Bentley Kühlerfigur und ersetzt sie durch eine kleine silberne Statue: die des frühchrist­lichen Märtyrers und Schutz­heiligen Englands, Sankt Georg, im Kampf mit dem Drachen.

Eiserne Belohnung: Die Bundesregierung erwägt die Wiedereinführung eines Tapfer­keits­­ordens für die Bundeswehr. Möglicherweise in Form des Eisernen Kreuzes.

Fahnenflucht: Die Zaunfahne des Borussia-Fanclubs »Ultras Mönchengladbach«, die im Jahr 2008 kurz vor Ostern aus deren Vereinsheim verschwand, tauchte wenige Tage später bei der Begegnung mit dem 1. FC Köln wieder auf – und zwar in der feindlichen Fankurve. Vor den Augen der entsetzten Glad­bach-Anhänger begannen die Kölner, das Heiligtum zu zerfetzen. Die »Ultras« traf der Ehrverlust so schmerzhaft, dass sie sich kurzerhand auflösten. »Für uns«, heißt es im Ab­schieds­brief, »ist die Zaunfahne das Zentrum der Gruppe. Es ist für uns unvorstellbar, noch einmal hinter diesem Namen zu stehen, der sich nun in Kölner Hand befindet.«

Grüne Symbolik: Wenn die Partei der Grünen ihr Logo überarbeiten lässt, braucht sie für den Entscheidungsprozess eineinhalb Jahre und zwei Partei­tage. Und das, obwohl führende Repräsentanten wie der stellver­tretende Fraktions­vorsitzende Hans-Christian Ströbele der Meinung sind: »Die können das von mir aus mit Buntstiften ausmalen, das ist mir ziemlich egal.« Ihm gehe es nämlich mehr um die Inhalte.

Magische Konkurrenz: Portugiesische Seefahrer brachten im 15. Jahr­­­­­­hun­­­­dert kunstvolle Schnitzereien von ihren Reisen aus West­afrika mit­. Sie wurden von den afrikanischen Urein­­wohnern als zaubermächtige Götterbilder verehrt und daher von den Seefahrern als feitiço (portug.: Zaubermittel, magisches Objekt) bezeichnet. Der Klerus war nicht begeistert; man hatte im christlichen Europa doch sein eigenes Schnitzwerk: Kruzifixe und Reliquienschreine, Madonnen- und Heiligen­bilder, die von den Gläubigen angebetet wurden. Konkurrenzprodukte, woher auch immer sie stammten, wurden als Idolatrie und Ketzerei ver­dammt.

Form & Fetisch

Fetisch, das klingt bis heute nach primitivem Geisterglauben, nach Ding-Besessenheit und Ausdruck vormoderner Unwissenheit. »Fetischisten sind immer die anderen.« [1] Was hat das mit uns heute, mit unserer so aufgeklärten Gesellschaft zu tun? Gilt nach der Allmacht des Glaubens heute nicht die Allmacht des Wissens?

Produkte und ihre Markenkommunikation sind kulturübergreifende, all­­­­­­gegenwärtige Bezugssysteme geworden. Wir formen unser Selbstbild durch die Dinge die wir konsumieren und konfigurieren daraus unsere Individualität, Zugehörigkeit und Distinktion. Marken wirken identitätsprägend wie nie zuvor; ihre Zeichen auf unserer Bekleidung werden immer größer. Manche Produkte bestehen scheinbar nur noch aus der Reproduktion ihres Logos und einige Unternehmen produzieren nichts mehr selbst – außer ihrer Marke. Logos wölben sich in grafisch simulierter Dreidimensionalität, als besäßen sie einen Körper, der etwas in sich trägt. Verwischen sich hier die Grenzen zwischen Zeichen und Bezeichnetem?

Das 16. Forum für Entwerfen ging der Frage nach dem Fetisch in der Form nach. Referent/inn/en aus Design und Markenentwicklung, Architektur, Kulturwissenschaft und Philosophie sowie rund 70 Teilnehmer, vorwiegend aus den gestaltenden Berufen, be­­fassten sich zwei Tage lang mit Ursprüngen und heutigen Erscheinungsformen des Fetischs.

Weitere Informationen und die Publikation der Vorträge
forum-entwerfen

Literaturempfehlungen

  • Hartmut Böhme [1]
    Fetischismus und Kultur
    Eine andere Theorie der Moderne
    Rowohlt 2006

  • Christoph Türcke
    Vom Kainszeichen zum genetischen Code
    Kritische Theorie der Schrift
    C. H. Beck 2005

  • Karl-Heinz Kohl
    Die Macht der Dinge
    Geschichte und Theorie sakraler Objekte
    Beck 2003

  • Jean Gebser
    Einbruch der Zeit
    Novalis Verlag, 1995 Jean Gebser Texte

  • Peter Sloterdijk
    Der ästhetische Imperativ
    Schriften zur Kunst
    Philo/Europäische Verlagsanstalt, 2007

  • Naomi Klein
    No Logo
    Goldmann/Riemann, 2002